Ich bin Jahrgang: 1955. Mein Hausarzt dürfte etwa im gleichen Alter sein. Wenn ich ihn aufsuche - und noch ist das zum Glück selten - macht er in letzter Zeit bedrohlich wirkende Andeutungen, vielleicht aus der eigenen Betroffenheit heraus: "Sie sollten sich mit Ihrer Endlichkeit vertraut machen!" Wie bitte? Dass er mir im selben Atemzug versichert, dass ich ja viel jünger aussehe als ich bin, tröstet mich da nur wenig. Endlichkeit - wie gemeißelt stehen die drei Silben im Raum. Endlichkeit. Da steckt ja das Wort Ende drin. So ein Wort gehört an das Ende eines guten Films, an das Ende eines Buches, das man nur ungern aus der Hand legt. Aber doch nicht an das Ende des eigenen Lebens ...! Versuchsweise nehme ich - auf dem Weg nach Hause - die Sache mit Humor und stelle fest: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Aber das funktioniert nicht. Viel zu banal. Dann versuche ich es mit positivem Denken: Stell dir nur vor, was du alles nicht mehr(!) tun musst, wenn eines Tages Schluss ist mit lustig. Welche Anstrengungen, welche Enttäuschungen dir erspart bleiben. Das immerhin tröstet ein wenig. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Wir haben Ende Oktober und rund 20 Grad plus. Was für ein herrlicher Herbsttag! Ein Spruch von Jonathan Swift (1667 - 1745) fällt mir ein: "Genau genommen, leben sehr wenige Menschen in der Gegenwart. Die meisten bereiten sich darauf vor, demnächst zu leben." Ich beschließe, mich zu freuen. Jetzt bin ich da und jetzt darf ich dieses Leben genießen, achtsam und in vollen Zügen. Gerade wegen der Endlichkeit. Wie schön, dass ich noch rechtzeitig darüber nachgedacht habe ...!